Historische Fachkommission: Konrad-Zuse-Straße sollte kontextualisiert werden

Ergänzendes Schild der Konrad-Zuse-Straße in Dortmund – allerdings ohne Hinweis auf seine Tätigkeit für die deutsche Rüstungsindustrie während des Nationalsozialismus. Bildquelle: Frank Vincentz auf Wikimedia

Die von der Stadt Wiesbaden beauftragte historische Fachkommission hat ihren Abschlussbericht vorgelegt und empfiehlt 18 Wiesbadener Straßen, Gebäude und Einrichtungen zur Umbenennung wegen der Verstrickung der Namensgeberinnen und Namensgeber in NS-Unrecht. In Nordenstadt wird keine Umbenennung empfohlen, allerdings soll die Konrad-Zuse-Straße kontextualisiert werden: Zuse forschte während des Nationalsozialismus für die deutsche Rüstungsindustrie. Die Konrad-Zuse-Straße in Nordenstadt war im Jahr 2003 auf Beschluss des Magistrats und des Ortsbeirats benannt worden.

Im Bericht der historischen Fachkommission wird die Empfehlung zur Kontextualisierung – die in der Regel durch ein ergänzendes Schild am Straßenschild umgesetzt wird – unter anderem wie folgt beschrieben:

„Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Zuse zum Militärdienst eingezogen. Durch die Hilfe von Freunden erhielt er im März 1940 erneut eine Anstellung als Statiker bei den Henschel Flugzeugwerken. Zuse wurde Chef des Bereichs Statik in der von Herbert A. Wagner geleiteten Entwicklungsabteilung und erhielt den Status „unabkömmlich“. Die Entwicklungsabteilung von Henschel entwickelte in dieser Zeit die ferngesteuerten Flugbomben Henschel 293 und
Henschel 294. Konrad Zuse entwarf im Rahmen dieser Projekte auf eigene Initiative „zwei fest programmierte Rechenaggregate, die aus Messungen der aerodynamischen Oberflächen Korrekturwerte für Leitwerke berechnen konnten“. Bekannt wurden diese Rechner unter den Namen S1 und S2. Die Gleitbombe Henschel 293 wurde ab Sommer 1943 vor allem gegen Schiffe im Mittelmeer militärisch erfolgreich eingesetzt.
[…]
Die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) stellte Konrad Zuse im Dezember 1941 einen weiteren Kredit in
Höhe von 50.000 RM zur Verfügung. Mit diesem Budget sollte eine voll einsatzbereite automatische Rechenmaschine gebaut werden. Im gleichen Jahr gründete Zuse eine eigene Firma mit dem Namen „Dipl.-Ing. K. Zuse Ingenieursbüro und
Apparatebau“. Sein Unternehmen wurde im November 1944 als Wehrwirtschaftsbetrieb anerkannt. Insgesamt wurden Zuses Forschungen und Erfindungen mit 250.000 bis 300.000 Reichsmark aus diversen Rüstungskassen bezuschusst.

Im Zuge des Entwicklungsaufwands und des immer schwierigeren Kriegsverlaufs erging im Juli 1943 ein Kriegsauftrag des Luftfahrtministeriums mit höchster Dringlichkeit an Zuse. Der Auftrag sah vor, „‚mit der Entwicklung und Herstellung eines Rechengerätes zur Durchführung algebraischer Rechnungen‘ zu beginnen“. Zuses Maschine sollte den Henschel-Werken zur Verfügung gestellt werden, wobei ein Teil der Nutzung zur Weiterentwicklung des Gerätes auch bei Zuses Firma liegen sollte.

Das Reichsrüstungsministerium unter Minister Albert Speer übernahm im Zuge der Umstellung auf die „totale Kriegswirtschaft“ 1944 die Weisungsbefugnis über die Flugzeugherstellung. Zuses Rechenautomatensystem unterstand in der Folge auch den Anweisungen des Rüstungsministeriums: „Im August und November 1944 erteilte das Luftfahrtministerium weitere Kriegsaufträge. Der im Bau befindliche Rechenautomat sollte um ein zweites Speicherwerk erweitert und durch ein als ‚Planfertigungsgerät‘ bezeichnetes Zusatzgerät ‚zur Vereinfachung der Eingabe des Rechenschemas‘ ergänzt werden.“
[…]
Eine Notiz in Zuses Nachlass belegt Überlegungen zur alternativen Nutzung seiner Rechenmaschinen im Bereich der Eugenik und Rassenlehre:
„Verwandtschaftslehre[:] Ist die Liste sämtlicher Einwohner eines Gebiets gegeben und ihre ursprünglichen Verwandtschaftsbeziehungen (verheiratet mit Kind von…), so muss es möglich sein, aus dieser Liste die Verwandtschaftsbeziehungen von zwei beliebigen Menschen A, B zu berechnen, falls diese überhaupt besteht. Praktische Bedeutung: Systematische Rassenforschung, Ahnenforschung, Unterlage für Vererbungslehre. Hierzu Registrierung von bestimmten, charakteristischen, eindeutig bestimmbaren Eigenschaften, z.B. Erbkrankheiten (Bluter).““

Textquellen: Pressemitteilung der Stadt Wiesbaden