Der „Nordenstadter Wald“ bei Wildsachsen
Rund um Nordenstadt gibt es keinen Wald – dennoch gab es mal einen Nordenstadter Wald. Der findet sich allerdings in einigen Kilometern Entfernung jenseits der A3 bei Wildsachsen und gehört inzwischen zu Breckenheim. Die Nordenstadter hatten ihn Mitte der 1930er-Jahren verkauft, als Geld für die Löschwasserzisterne benötigt wurde, die vor dem Alten Rathaus in der Stolberger Straße gebaut wurde.
Die Nordenstadter Heimathistoriker Winfried Müller und Ekkehard Kurz recherchierten 2019 für ein Treffen der Historischen Werkstatt diesen Teil der Nordenstadter Geschichte:
Wie war es eigentlich früher? Beim Stammtisch in der historischen Schenke des Nordenstadter Heimatmuseums in der Turmstraße treffen sich überwiegend Mitglieder der „Historischen Werkstatt Nordenstadt – Verein für Heimatgeschichte“. Diesmal plaudert man über den ehemaligen Gemeindewald von Nordenstadt.
Wenn man mit dem Auto von Breckenheim nordwärts, von Medenbach ostwärts oder von Wildsachsen südwärts fährt, zweigt an einer markanten Kreuzung eine Landstraße bergauf Richtung Hofheim-Langenhain ab. Rechts befindet sich eine Kläranlage und dann Wald, links fließt der Thierbach durch die Wiesen. Nach ungefähr 500 Metern zeigt ein kleines Schild rechts zur Auffahrt zum Parkplatz „Naturpark Taunus – Wanderwege Nordenstadt“. Für viele Nordenstadter ist das heute der einzige Hinweis, dass es früher einmal einen Nordenstadter Gemeindewald gab.
Schon vor längerer Zeit wurde in einigen „VorOrt“-Artikeln des Wiesbadner Kuriers sowie in den beiden Nordenstadter Zeitzeugenbüchern „Heute ist morgen schon gestern“ hin und wieder mal etwas über den Nordenstadter Wald berichtet, doch es waren oft nur kleinere Anmerkungen.
Winfried Müller, der Koordinator des Stammtisches, wollte es nun doch mal genauer wissen: „Gibt es heute noch Nordenstadter, die etwas über unseren Gemeindewald sagen können?“ Beim Zeitzeugen-Stammtisch sind deshalb zu diesem Thema Heinz Grund, Heinrich Ott, Winfried Schreiner und Hildegard Werner dabei.
Bei Recherchen in der Nordenstadter Ortsverwaltung konnte man im dortigen Archiv und im Übernahmevertrag mit der Stadt Wiesbaden keine konkreten Unterlagen finden. Auch im Stadtarchiv fanden sich wenige Hinweise. Im „Landesgeschichtlichen Informationssystem des Landes Hessen“ gibt es im Internet zwei Fundstellen aus den Jahren 1491 und 1518 über dieses Gebiet. Über das Grünflächenamt der Stadt Wiesbaden wurde man im Rambacher Forstamt bei Förster Erich Mork fündig. „Eigentlich gibt es heute keinen Nordenstadter Wald mehr, denn das frühere Waldgebiet gehört jetzt zur Breckenheimer Gemarkung. Für den Bau einer Löschwasserzisterne vor dem Alten Rathaus in der Stolberger Straße verkaufte die Gemeinde Nordenstadt Mitte der 1930er Jahre zur Kostendeckung große Waldstücke. Doch auch heute noch kaufen Nordenstadter Bürger beziehungsweise Firmen aus Tradition gerne aus dem ehemaligen Nordenstadter Gebiet Brennholz, das sie über das Rambacher Forstamt beziehen.“
Der ehemalige Nordenstadter Wald hatte ungefähr eine Fläche von 96 Hektar, was umgerechnet einer Größe von etwa 135 Fußballfeldern entspricht. Der Wald lag rechts der Landstraße nach Langenhain (Wanderparkplatz), die westlichste Abgrenzung war der Waldrand am Klingenbach mit der Klingenmühle, die südliche Begrenzung folgte der Linienführung der heute stillgelegten Starkstromtrasse („Mastenweg“). Damals war das Gebiet kein selbstständiger Jagdbezirk, denn dieser musste mindestens 100 (heute herabgesetzt auf 75) Hektar umfassen.
Im „Nordenstadter Wald“ wachsen heute Eichen, Buchen, Fichten und Kiefern, Bäume, die teilweise schon vor über 140 Jahre gepflanzt wurden. Eine gezielte Nachforstung wird – wie seit Generationen – weiter betrieben. „Im Wald gelten andere Zeiträume“, erklärt Förster Mork. „Und auch der Klimawandel macht vor unserem Wald nicht Halt, genauso wie die negativen Auswirkungen des Borkenkäfers insbesondere im Gebiet des Fichtenbestandes. In dem mit Breckenheim und Langenhain zusammenhängenden Waldbereichen gibt es heute noch Rehe, Füchse, Wildschweine, Dachse und vereinzelt auch Wildkatzen.“
Die Stammtischrunde diskutierte engagiert, hatte aber auch manchmal unterschiedliche persönliche Erfahrungen: „Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir als Mitarbeiter des damaligen Höchster MKW-Energieunternehmens, die Elektrostromtrassen zunächst abliefen, später Anfang der 1990er Jahre mit dem Hubschrauber abflogen, um zu prüfen, ob es nicht wegen eventueller Baumstürze zu Leitungsschäden kommen könne. Das galt auch für den ‚Mastenweg’ im ehemaligen Nordenstadter Wald.“
„Im ‚Mitteilungsblatt der Gemeinde Nordenstadt vom 27.2.1973 und vom 21.12.1973 wurde verkündet: ‚Abgabe von Brennholz aus dem Gemeindewald. Interessenten mögen sich im Alten Rathaus (Zimmer 4) bzw. im neunen Gemeindezentrum (Zimmer 12) melden.’ Die Anfahrt erfolgte früher stets über Breckenheim und den dortigen Distrikt „Gänswaad“.
„Jährlich zur Nordenstadter Kerb besorgten wir junge Burschen in Abstimmung mit dem damaligen Förster eine Fichte als Kerbebaum aus unserem Gemeindewald. Aber auch das ‚Grünzeug’ für den Häuserschmuck an den Festtagen holten wir aus unserem Wald.“
„In den 1950er Jahren bin ich mit meinem Vater wieder einmal im ‚Nordenstadter Wald’ gewesen. Da haben wir ein totes Reh gesehen, gefangen in einer Wildererschlinge. ‚Schnell weg’, sagte mein Vater, ‚der Kerl ist sicher in der Nähe.’“
Und „alte“ Nordenstadter sagen, wenn sie am Alten Rathaus in der Stolberger Straße vorbeigehen: „Hier liegt unser alter Wald begraben!“
Das Museum in der Turmstraße 9-11 ist bei freiem Eintritt jeden 1. und 3. Sonntag im Monat von 15 bis 17 Uhr geöffnet.
Free-Artikel im Wiesbadener Kurier: Erinnerungen an den „Nordenstadter Wald“